Durchbruch

Er stand auf und holte seine alten Stiefel aus dem Schrank. Kampfstiefel.
Sie knallten auf den Boden.
Er schlüpfte in die schwarze Jeans. Er konnte sie nur mit Mühe zuknöpfen. Dicker geworden. Älter geworden. Ruhiger geworden. Enge Hose. Er warf die alte Kassette in den Recorder, die jahrelang unter dem Bett verstaubt war. Alte Musik. Laute Musik. Gute Musik. Kampfmusik. Er ließ sich auf sein Bett fallen. Enge Hose. Musik von früher. Zog die alten, grauen Socken an. Schlüpfte in die ausgelatschten Stiefel. Staubig, alt. Uralt. Lange nicht benutzt, aber dennoch: Länger darin gestanden als jeder Möchtegern-Krieger in diesem ganzen verdammten Land. Mehr Schritte darin gegangen, als manche Menschen ein Leben lang gehen. Marschiert und Boden hinter sich gebracht. Erde und Menschen damit getreten. Gewonnen und verloren, geblutet und verletzt, aber gestorben noch nicht. Er lebte und er war zu lange still gewesen. Still sein bedeutet tot sein. Aber er wußte, daß er noch am Leben war, und die anderen sollten das auch wissen. Zu lange hatte er geschwiegen, war wie ein Schaf dahingetrottet.
Er schlenderte ins Bad und stellte sich vor den Spiegel. Nahm den Rasierer und sah seine Haare fallen. Schafspelz. Neues Gefühl, wenn seine Hände über den Kopf strichen. Er lächelte. Es war Zeit geworden. Zeit, den Schafspelz abzuwerfen und blitzende Zähne zu zeigen. Wolfszähne.
Uraltes, ewig gleiches, schlabbriges T-Shirt, löchrig, blutig, bei manchem Kampf dabeigewesen. Liebgewonnen und doch zu lange nicht angehabt. Gefühl von alten Zeiten auf der nackten Haut.
Er fühlte sich stark. Wahnsinnig stark.
Packte seine schwere Lederjacke über die Schulter und war bereit für die Straße, komme, was da kommen wolle.
Denn der Kampf war noch lange nicht vorbei und er hatte zu lange schon geschwiegen.


Gisela Nagy, 18.05.1993. Für Holger.